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Analyse

Lehman Brothers nur der Anfang: Die größten Finanzskandale der Bankenwelt

Vor 15 Jahren schlitterte Lehman Brothers in die Insolvenz. Doch wie resistent ist der Finanzmarkt heute? Die Krisen und Skandale der vergangenen Jahre zeichnen kein beruhigendes Bild.

7 Min.
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Der Wirecard-Skandal erschütterte das Vertrauen in Aufsicht und Wirtschaftsprüfer:innen. (Bild: Franco Francisco Maria/Shutterstock)


Mitarbeiter:innen haben ihre Schreibtische geräumt und tragen ihre Habseligkeiten in Umzugskisten aus dem Gebäude. Diese Bilder gingen im Jahr 2008 um die Welt. Sie standen für den Untergang einer der größten Investmentbanken der Welt: Lehman Brothers. Die Bank war damals stark in den Handel mit Subprime-Hypotheken verwickelt. Als in den USA die Immobilienblase platzte, verlor Lehman Milliarden Dollar. Der Versuch, sich durch den Verkauf zu retten, scheiterte. Deshalb musste Lehman am 15. September 2008 Insolvenz beantragen.

Die Pleite der Bank war ein Schock für die globalen Finanzmärkte und hatte weitreichende Folgen. Sie führte zu einem Vertrauensverlust in das Finanzsystem und zu einer weltweiten Rezession. Nicht nur in den USA, weltweit mussten Regierungen strauchelnde Finanzinstitute mit staatlichen Rettungsaktionen stützen. Das Schlagwort damals: Die Banken seien  „too big to fail“, also aufgrund ihrer Größe, Vernetzung und Bedeutung für das Finanzsystem „systemisch wichtig“, sodass ihr Zusammenbruch eine Kettenreaktion auslösen und andere Banken, eventuell sogar das gesamte Finanzsystem mit sich in den Abgrund reißen könnte.

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Mit Steuergeldern Banken retten? Das wollten viele Staaten danach nie wieder zulassen. In den Vereinigten Staaten wurden den Banken deshalb unter der Obama-Regierung strenge Regeln auferlegt, damit eine derartige Finanzkrise sich nicht wiederholen kann. Auch in Europa müssen Banken heute mehr Kapitalreserven bilden und werden von Aufsichtsbehörden regelmäßigen Stresstests unterworfen.

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Aber trotz der neuen Regularien sind einige Banken heute sogar noch größer, als sie es 2008 waren. Und auch die Risiken im Finanzsystem sind nicht kleiner geworden, wie die Pleiten und Skandale der vergangenen Jahre zeigen.

Die Libor-Zinsmanipulation

Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass einige der größten internationalen Banken, darunter UBS, Barclays und die Royal Bank of Scotland (RBS), jahrelang einen wichtigen Referenzzinssatz für Kredite, Hypotheken und Derivate, den London Interbank Offered Rate (Libor), manipuliert hatten.

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Die Manipulation des Libor begann bereits in den 2000er-Jahren. Banken meldeten falsche Zinssätze an die British Bankers’ Association (BBA), die den Libor berechnete. Die gemeldeten Zinssätze waren niedriger als die tatsächlichen Kosten, zu denen sich die Banken untereinander Geld leihen konnten. Dadurch erschien der Libor künstlich niedrig, was sich wiederum auf die Zinssätze für eine Vielzahl von Finanzprodukten auswirkte.

Das Ganze kam ans Licht, als Barclays eine Strafe von rund 450 Millionen Dollar akzeptierte und die Manipulation zugab. Dies wiederum führte in vielen Ländern zu Ermittlungen und Strafen in Milliardenhöhe gegen mehrere Banken.

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Der Fall sensibilisierte eine breite Öffentlichkeit für die Risiken von Betrug und Manipulation im Finanzsektor. Darüber hinaus wurden Reformen im Finanzsektor eingeleitet, darunter die Änderung der Methoden zur Berechnung von Referenzzinssätzen und die Stärkung der Aufsicht und der Regulierung von Banken.

Die Cum-ex-Geschäfte

Zwischen 2001 und 2011 nutzten zahlreiche Banken eine Gesetzeslücke, um sich Steuerrückzahlungen zu erschleichen. Medienberichte deckten 2012 ein System auf, bei dem sich verschiedene Finanzmarktakteure, darunter Anwält:innen, Banker:innen und vermögende Unternehmer:innen, verabredet hatten.

Die Cum-ex-Geschäfte funktionierten so: Kurz vor dem Dividendenstichtag kauften Banken bestimmte Aktien und verkauften sie kurz nach dem Dividendenstichtag wieder. Die auf die Dividende gezahlte Kapitalertragsteuer ließen sie sich dann mehrfach vom Fiskus erstatten, obwohl die Dividende nur einmal gezahlt wurde. Dem Fiskus soll dadurch ein Schaden in Milliardenhöhe entstanden sein.

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Die Aufarbeitung des Skandals ist noch nicht abgeschlossen. Staatsanwaltschaften haben mehrere Personen und Unternehmen wegen Cum-ex-Geschäften angeklagt, einige wurden bereits verurteilt. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat bestätigt, dass die Geschäfte „rechtswidrig“ waren. Der Deutsche Bundestag hatte 2016 einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Hintergründe des Skandals aufzuklären. In der Folge wurden die Gesetze zur Dividendenbesteuerung geändert, um Cum-ex-Geschäfte zu verhindern.

Die P&R-Pleite

Im Jahr 2018 kam einer der größten Anlageskandale der deutschen Geschichte ans Licht: der P&R-Skandal. Die Insolvenz der P&R-Gruppe hat gezeigt, dass auch vermeintlich sichere Anlageformen wie Containerinvestments Risiken bergen.

Die P&R-Gruppe hatte Anleger mit dem Angebot gelockt, Schiffscontainer zu kaufen und diese gewinnbringend an Reedereien zu vermieten. Die Anleger gaben die gekauften Container an P&R zurück.

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Im März 2018 wurde bekannt, dass die P&R-Gruppe tatsächlich nicht über genügend liquide Mittel verfügte, um die Rückkaufverpflichtungen für die Container zu erfüllen – und dass einige Container wohl nur auf dem Papier existierten. Die Insolvenz der P&R-Gruppe führte zu einem der größten und komplexesten Insolvenzverfahren in Deutschland. Die Anleger:innen sollen um 3,5 Milliarden Euro betrogen worden sein.

Der Wirecard-Skandal

Im Jahr 2020 erschütterte einer der größten Bilanzskandale der Nachkriegszeit Deutschland. Der hochgejubelte Zahlungsdienstleister Wirecard war zuvor sogar in den Dax aufgestiegen – umso tiefer war nun der Absturz.

Der Skandal wurde aufgedeckt, als immer mehr Ungereimtheiten in den Bilanzen von Wirecard auftauchten. Es gab erhebliche Zweifel an der Existenz von mehreren Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten in Asien lagen. Wirecard behauptete, diese Gelder würden für Geschäfte und Akquisitionen verwendet. Vor allem Berichte in der Financial Times stellten das aber immer mehr infrage.

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Im Juni 2020 räumte Wirecard schließlich ein, dass rund 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten auf den Philippinen lagen, vermutlich nie existiert hatten. Der Finanzkonzern musste daraufhin Insolvenz anmelden: CEO Markus Braun stellte sich den Behörden und wurde verhaftet, sein COO Jan Marsalek ist seitdem auf der Flucht. Staatsanwaltschaften erheben schwere Betrugsvorwürfe gegen die beiden und weitere ehemalige Manager.

Der Wirecard-Skandal war auch ein schwerer Schlag für das Ansehen der deutschen Finanzaufsicht Bafin, die in den Jahren zuvor Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten nicht angemessen nachgegangen sein soll. Der Fall löste daher eine Debatte über die Regulierung von Finanztechnologieunternehmen und die Rolle der Wirtschaftsprüfer:innen aus. Der Fall hat unter anderem bei der Bafin eine Reform eingeläutet. Heute nimmt sich die Aufsichtsbehörde auch verstärkt digitaler Themen wie Kryptoregulierung oder Verbraucherschutz an.

Die Pleite der Greensill-Bank

Im März 2021 ging in Deutschland ein Finanzinstitut in Konkurs, das sich auf die Finanzierung von Lieferketten spezialisiert hatte: die Greensill Bank. Das deutsche Institut gehörte zum globalen Finanzunternehmen Greensill Capital und war eng mit diesem verbunden. Die kurzfristigen Kredite, die Greensill an Unternehmen vergab, finanzierte die Bank, indem sie sie in Form von Wertpapieren an Investor:innen weiterverkaufte.

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Das Institut geriet in Schwierigkeiten, als sich die Weltwirtschaft infolge der Covid-19-Pandemie verlangsamte. Unklarheiten über die Bonität einiger von Greensill finanzierter Schuldner:innen führten zu einem massiven Verlust von Vertrauen in die Bank. Die Kreditversicherung, die einige dieser Forderungen abdecken sollte, wurde ausgesetzt, was dazu führte, dass die Kreditwürdigkeit der Greensill-Bank infrage gestellt wurde. In der Folge verlor die Bank das Vertrauen der Anleger:innen, die ihr Geld abzogen, und die Bafin verhängte ein Moratorium. Das bedeutet, dass die Bank keine Auszahlungen mehr vornehmen durfte.

Die Greensill-Insolvenz führte zu Ermittlungen und Untersuchungen, um die Ursachen und die Folgen des Zusammenbruchs zu klären. Sie warf auch Fragen zur Regulierung von Finanzunternehmen und zum Umgang mit Wertpapieren auf, die auf Unternehmensforderungen basieren.

Neue Bankenturbulenzen

Im März 2023 fühlte man sich für einen Moment an das Jahr 2008 erinnert, als die US-amerikanische Silicon Valley Bank (SVB) ins Straucheln geriet. Die Startup-Bank bekam unter anderem Probleme, als langjährige US-Staatsanleihen, in die die Bank investiert hatte, aufgrund der Zinssteigerungen der Notenbanken plötzlich Verluste einbrachten. Kund:innen zogen daraufhin immer schneller ihre Gelder ab, die SVB geriet in eine Abwärtsspirale und wurde schließlich von der kalifornischen Regulierungsbehörde geschlossen.

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Noch gravierender wirkte sich die Notrettung der Credit Suisse nur wenige Tage später aus. In einer Wochenendaktion machte die schweizerische Regierung den Weg frei für eine Notfusion mit der heimischen Konkurrentin UBS. Zuvor war die Credit Suisse durch zahlreiche Krisen gegangen, unter anderem verzeichnete sie große Verluste durch den Zusammenbruch des Hedgefonds Archegos und der Greensill-Bank. Auch bei ihr kam es zeitweise zu einem dramatischen Abfluss von Kund:innengeldern. Beide Fälle haben sehr plastisch vor Augen geführt, wie die Digitalisierung der Finanzinstitute einen Bank-Run beschleunigen kann.

Die jüngsten Beispiele zeigen, wie schnell die alten Ängste vor einem neuen Bankenbeben wieder aufleben. Dass einige Institute heute noch größer sind als 2008, macht dem Finanzaktivisten Gerhard Schick von der Bürgerinitiative Finanzwende Sorgen, „denn ihre Pleite könnte das ganze Finanzsystem erschüttern“. Er fordert daher die Verkleinerung der ganz großen Institute als eine von mehreren wichtigen Maßnahmen. „Das Scheitern der Credit Suisse in diesem Frühjahr hat gezeigt, dass die Abwicklungspläne bei so großen globalen Institutionen mit Hunderten von Tochtergesellschaften im Ernstfall nicht funktionieren.“

15 Jahre nach der Lehman-Krise fordert die Initiative, die sich als Gegengewicht zur Finanzlobby versteht, eine grundlegende Reform der Finanzmärkte. Regierungen müssten die von unabhängigen Wissenschaftler:innen und Aufsichtsbehörden empfohlenen Regeln endlich durchsetzen.

„Wir sprechen heute von 1.000 Krisen, weil die Fehlentwicklungen an den Finanzmärkten inzwischen für viele Menschen sehr direkt spürbar sind“, sagt Schick. Ein Beispiel sei die massive Spekulation mit Wohnimmobilien, die dazu führe, dass sich Familien mit normalem Einkommen in vielen Städten keine Wohnung mehr leisten können.

„Das vielleicht größte Defizit der Finanzmarktregulierung seit 2008 ist, dass Geldmarktfonds, Private-Equity-Fonds, Hedgefonds et cetera (auch als Schattenbanken bezeichnet) nicht angemessen reguliert wurden“, mahnt Schick. Zu wenig Eigenkapital und das Fehlen ausreichender Liquiditätspuffer in Verbindung mit riskanten Geschäftsstrategien könnten bei diesen Fonds zu gefährlichen Abwärtsspiralen führen. Zuletzt hatte die EZB etwa gewarnt, dass es keine ausreichende Vorsorge gegen einen Run auf Immobilienfonds gebe.

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