„Mental-Health-Krise bei Kindern”: US-Schulbezirk verklagt alle Social-Media-Plattformen
Der US-amerikanische Schulbezirk Seattle verklagt Google, Meta, Snap und Bytedance, weil ihre Social-Media-Plattformen Kindern aktiv schaden und die Arbeit von Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen erheblich erschweren würden, berichtet The Register. Schon länger werden die Plattform aufgrund ihrer Mechanismen als nicht kinderfreundlich kritisiert. Spätestens seit Frances Haugen mit konkreten internen Facebook-Studien an die Öffentlichkeit trat, die belegten, dass dem Unternehmen bekannt ist, dass Facebook schlecht für junge Mädchen ist, konkretisieren sich die Vorwürfe. Die neue Klage geht aber einen Schritt weiter: Nicht nur seien die Plattformen schädlich, sie behinderten auch Jugendarbeit.
Schulbezirk aus Seattle klagt gegen alle Social-Media-Plattformen
Seattle Public Schools ist ein Schulbezirk in Washington, USA, und beinhaltet schulische Angebote vom Kindergarten bis hin zum Abschluss der Highschool. Der Bezirk klagt gegen Alphabet und die Tochterfirmen Google und Youtube, Snap, Bytedance und die Tochter Tiktok und Meta mit den Tochterfirmen Facebook, Instagram und Siculus.
Der Schulbezirk argumentiert: Die Unternehmen konzipieren ihre Produkte so, dass die Nutzungsdauer maximal erhöht wird. Dabei werden schädliche Inhalte an Millionen Kinder und Jugendliche ausgespielt – beispielsweise Darstellungen von Selbstverletzung, die Ausspielung der sogenannten Corpse-Bride-Diät an Nutzer:innen mit Essstörungen oder Inhalte mit Drogen, Waffen und potenziell gefährlichen Beauty-„Hacks“ wie Bleichmittel an Kinder.
Das erschwere die Arbeit von Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und jegliche andere Form der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Der Schulbezirk sieht sich direkt betroffen und verweist auf einen Anstieg von rund 30 Prozent bei Depressionserkrankungen bei Schüler:innen im Zeitraum von 2009 bis 2019. Schüler:innen, die von Angststörungen, Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen betroffen sind, würden schlechtere Leistungen erbringen, seltener zum Unterricht erscheinen und die Gefahr von Drogenkonsum sei bei ihnen höher. Das behindere die Schulen dabei, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen.
Schulen und Schulkliniken erste Anlaufstelle für Kinder
Zum Schulbezirk gehören auch Schulambulanzen, die für die Kinder im Bezirk die erste Anlaufstelle für Mental-Health-Services darstellen. Der Bedarf steigt, die Nachfrage kann das Personal allerdings nicht mehr stemmen – es fordert mehr finanzielle Ressourcen. „Der Kläger benötigt einen umfassenden, langfristigen Plan und eine Finanzierung, um die Rekordraten von Angstzuständen, Depressionen, Selbstmordgedanken und andere tragische Indizien der Krise der psychischen Gesundheit seiner Jugendlichen nachhaltig zu senken“, so die Klageschrift. Insgesamt sei das Ziel, die Techfirmen dazu zu bewegen, Bildungs- und Behandlungsmaßnahmen für die „problematische Nutzung von Social Media“ zu finanzieren.
Techfirmen verweisen auf Mental-Health-Ressourcen
Die Konzerne verweisen dabei auf ihre Mental-Health-Ressourcen in den Produkten. Mit der Here-for-you-Kampagne hat Snap Mental-Health-Ressourcen vorgestellt, die auf Snapchat zur Verfügung stehen. Google-Sprecher José Castañeda nannte gegenüber The Register Family Link: Mit dem Tool können Eltern die Bildschirmzeit der Kinder beschränken, Reminder setzen und bestimmte Inhalte blockieren. Diese Ressourcen bauen allerdings auf Selbstreflexion und Eigenverantwortung der Nutzer:innen und ihrer Eltern. An Inhalten, Algorithmen oder der Konzeption der Produkte ändern sie nichts.
Meta richtete Anfang Januar 2022 einen Meta Summit on Youth Safety and Well-Being aus. Neben Präsentationen zu umgesetzten Maßnahmen in Meta-Produkten forderte Nick Clegg, President of Global Affairs bei Meta, eine „klare und konsistente Regulierung, die hilft, eine sichere, positive Online-Experience für Teenager:innen zu schaffen“ von „globalen Regulator:innen“.
Social Media braucht Werbung, Werbung braucht Nutzungsdauer
Die Social-Media-Plattformen sind für die Nutzer:innen kostenfrei und tragen sich durch das Werbegeschäft. Um für die Werbekund:innen attraktiv zu sein und zu bleiben, müssen die Plattformen für eine möglichst hohe Nutzungsdauer und hohe Engagement-Raten sowie gute Chancen auf Conversions sorgen.
Maßnahmen, die Kinder und Jugendliche schützen, würden diese Kennzahlen direkt negativ beeinflussen. Das könnte ein Grund sein, warum Meta explizit staatliche Regulierungen fordert: Gesunkene Kennzahlen könnten gegenüber Werbekund:innen mit diesen Regulierungen begründet werden. Sie würden außerdem alle Plattformen betreffen – nicht nur die, die von selbst Maßnahmen ergreifen.