- Warum Tiktok?
- Die Strategie für organische Reichweite
- Content mit Humor und Charakteren, mit denen sich Nutzer:innen identifizieren
- Produktplatzierung
- Community-Management
- Regelmäßige Uploads
- Die richtigen Hashtags (be)setzen
- Ergebnisse: Conversion-Rate von 8 Prozent
- Erfahrungswerte: Wiedergabezeit, Follows und Loops
- Einbußen ab April: Algorithmus-Anpassungen oder Bug?
- Ist Luke wirklich Praktikant?
Wie Seatable 700.000 organische Views pro Woche auf Tiktok generiert
Seatable ist ein eigenfinanziertes Startup, das wie die meisten Startups nur über ein beschränktes Marketingbudget und knappe Ressourcen verfügt. Ausschweifende Paid-Kampagnen sind nicht drin. Das Ziel? „Mit wenig Invest eine hohe Markenbekanntheit aufzubauen und dadurch neue Kunden zu gewinnen“, sagt Philipp Braun, Chief Marketing Officer bei Seatable. Das haben sie mit Tiktok geschafft – und erzielen rein organisch 700.000 Views pro Woche. Im Gespräch mit t3n hat Braun seine Strategie geteilt – und erzählt, welche Insights er nach einem Jahr Tiktok gewonnen hat.
Warum Tiktok?
Der Seatable-Account zeigt, dass bei Tiktok ohne große Investition mit gutem Content enorme organische Reichweiten möglich sind – im Gegensatz zu anderen Plattformen: „Bei Facebook bist du froh, wenn du überhaupt mal ein Prozent deiner Follower erreichst mit einem Posting“, so Braun. Bei Tiktok erreichen sie die breite Masse: berufstätige Menschen, die die Software in Unternehmen tragen, sowie junge Menschen, „die Kunden von morgen.“ Tiktok sei mittlerweile ihr größter Social-Media-Kanal mit der höchsten Relevanz. Die anderen Plattformen überzeugten wenig, Instagram bespielen sie noch mit den Tiktok-Inhalten. Tests mit kleineren Tech-Influencer:innen hätten nicht die erhofften Ergebnisse erzielt, daher kommt Influencer:innen-Marketing aktuell nicht infrage.
Die Umsetzung machen Braun und Mitarbeiter Luke Spira zu zweit: eine Stunde Brainstorming, dann arbeitet Spira die Ideen aus. Die Skripte gehen sie noch einmal durch. Einmal pro Woche werden die Videos für die kommende Woche gedreht – es sei denn, wegen Urlaub oder anderer Abwesenheiten muss vorproduziert werden. Insgesamt ein überschaubarer Aufwand für die erzielten Erfolge.
Die Strategie für organische Reichweite
Um flexibel und unabhängig zu sein, hat sich Braun gegen die Auslagerung an eine Agentur entschieden. Der Kosten-Nutzen-Aspekt habe nicht gepasst: Briefings, Abstimmungen und Freigaben kosten Zeit und Geld. Das Seatable-Team wollte schneller reagieren und Trends aufgreifen können. Dazu sollten echte Mitarbeiter ein authentisches Gesicht der Marke und so zu Influencer:innen für das eigene Unternehmen werden. Die Produktion hätte sowieso inhouse stattfinden müssen.
Content mit Humor und Charakteren, mit denen sich Nutzer:innen identifizieren
Die Reichweite sollte organisch und nachhaltig sein, ohne von Paid-Maßnahmen abhängig zu sein. Dafür braucht es relevanten Content. Der muss auf Tiktok kreativ, relevant und unterhaltsam sein – und auf keinen Fall zu werbelastig. Nutzer:innen sollten sich mit den Inhalten oder Charakteren identifizieren. Da lag die Arbeitsbeziehung zwischen Chef:in und Praktikant:in nahe: In einer der beiden Rollen sei jede:r schon einmal gewesen oder werde es zukünftig sein, so Braun. Also nahm Spira die Rolle des Praktikanten ein, Braun die des Chefs. Diese Dynamik funktioniert so gut, dass sich in den Kommentaren (gutmütige) Lager gebildet haben: Team Prakti und Team Chef. Die Nutzer:innen erwarten mittlerweile beide Protagonisten: „Die Leute wollen immer uns beide sehen. Die sind an unsere Gesichter gewöhnt, die wollen dieses Chef-Angestellten-Verhältnis. Wenn du dann mit Soloparts kommst, das funktioniert überhaupt nicht.“
Der Content fällt in den aktuell beliebten „Corporate Millennial“-Bereich: überspitzte, aber nachvollziehbare Berichte über Job-Stress und Arbeitsbedingungen, anstatt der Glorifizierung einer Hustle-Culture. Während es im englischsprachigen Raum bereits feste Größen wie justme.rod oder corporate.natalie gibt, ist diese Nische im deutschsprachigen Raum noch nicht besetzt. Braun und Spira nähern sich dem mit ihrem Content an.
Produktplatzierung
Braun fragte sich: „Wie schaffen wir es, ein Softwareprodukt, das nicht so sexy ist wie eine Fashion Brand, attraktiv auf Tiktok zu vermarkten?“ Klassische Produktplatzierung und Werbeformate funktionieren dort nicht. In Brauns Augen tun sich da viele Unternehmen schwer: „Ich meine, mir geht es ja genauso: Sobald es mir zu werbelastig wird, schalte ich ab. Da geht auch die Wiedergabezeit flöten, die Interaktion gehen in den Keller und dadurch auch die Reichweite des Tiktoks.“ Nach einigen Tests wurde die Software selbst eher in den Hintergrund verschoben. Ab und an wird sie mit einem Schwenk auf den Bildschirm oder einem Screenrecording gezeigt. Braun und Spira tragen in allen Tiktoks Pullover und Shirts mit Seatable-Logo. Das mache die Marke unterschwellig bekannter und steigere den Wiedererkennungswert.
Community-Management
Das Community-Management steht im Fokus: „Ich glaube, das Thema Community-Pflege ist enorm wichtig auf Tiktok; dass du im ständigen Kontakt und Austausch bleibst.“ Denn eine engagierte Community würde viel zurückgeben: Interesse an Marke und Produkt und damit letztlich Umsatz – aber auch Reichweite, indem Seatable unter anderen Tiktoks getaggt wird. Daher antworten sie möglichst schnell auf viele der eingehenden Kommentare.
Regelmäßige Uploads
Auf dem Account wird ein Tiktok pro Tag hochgeladen. Vielleicht, so Braun, hätten sie mit mehr Videos pro Tag ein schnelleres Wachstum erzielen können. Der geplante Rhythmus muss aber auch realistisch sein – du musst ihn einhalten können: „Wir haben es echt schwierig mit den Videos, wenn die zwei, drei Tage später kamen.“ Das könne zwar auch mit der Relevanz des Contents oder den Interaktionsraten zusammenhängen, grundsätzlich gelte aber: Lieber weniger und stetig als viel, aber unregelmäßig.
Die richtigen Hashtags (be)setzen
Die richten Hashtags würden zudem zu mehr Reichweite führen: „Dann ziehst du auch nochmal darüber Leute auf dein Profil, die dann auch andere Videos gucken – das ist eine Art Kettenreaktion.“ Das gilt zum einen für Trend-Hashtags, aber auch für das reguläre Tag-Set. Bei Seatable besteht das aus der Marke und der Produktkategorie, #seatable und #software, und aus dem Slogan #sammaspinnstdu, der sich in den Videos entwickelt hat und mittlerweile 36 Millionen Aufrufe hat. Zuletzt die Charaktere, also #boss und #praktikant – letzterer hat 97,8 Millionen Aufrufe und ist auf der Übersichtsseite durch Seatable gut besetzt.
Ergebnisse: Conversion-Rate von 8 Prozent
Alle Videos zusammengerechnet erzielten die Tiktoks im Durchschnitt 700.000 Views pro Woche. In starken Wochen sollen bis zu 300 Nutzer:innen über den Link auf dem Tiktok-Profil zur Unternehmenswebsite springen. Das wird anhand des UTM-Parameters des Links im Profil gemessen – kommen Interessierte über die Google-Suche auf die Website, kann das nicht in Verbindung gebracht werden. Bei den Personen, die über Tiktok kommen, gebe es laut Braun eine Conversion-Rate von acht Prozent. So kämen in starken Wochen über Tiktok 25 Neuregistrierungen zustanden. Als Nebeneffekt zahlt der Kanal auf das Employer-Branding ein: „Wir erhalten mehrere Bewerbungen täglich“, so Braun.
Erfahrungswerte: Wiedergabezeit, Follows und Loops
Am relevantesten ist laut Braun die Wiedergabezeit: „Die Wiedergabezeit ist das A und O. Je höher die im Schnitt ist, desto mehr Reichweite erhältst du auch durch Tiktok.“ Bei einer durchschnittliche Wiedergabezeit von über 50 Prozent hätte ein Video gute Chancen, viral zu gehen.
Die Zahl der Follower:innen sei aber eine Schönheitsmetrik: „Sie sind für ein gewisses Grundrauschen da, garantieren nicht, dass das Tiktok wirklich eine hohe Reichweite generiert.“ Bei Seatable sei die Reichweite nicht entsprechend der Follows gestiegen. Dass Tiktok Inhalte weniger aufgrund von Follows unterscheidet – siehe der For-You-Feed -, ist bekannt und ist ein USP der Plattform. Braun vermutet, dass Tiktok kreativere Inhalte und Nischencontent mehr favorisiert und das in Zukunft weiter stärken wird.
Für den Anfang rät Braun zu Tiktoks mit maximal 30 Sekunden Länge und mit einem möglichst starken Hook. Loops erhöhen die Zahl der Views: Videos, bei denen das Ende fließend mit dem Anfang zusammenpasst – wenn sich beispielsweise Ende und Anfang zu einem Satz verknüpfen. Trends würden sich lohnen – allerdings nur, wenn sie nicht nachgemacht, sondern auf den eigenen Content adaptiert würden.
Hilfreich sei auch Tiktoks Kreativzentrum, bei einem Business-Profil unter Unternehmensdienstzentrum > Kreativzentrum für Unternehmen zu finden. Dort gibt es Anleitungen für Unternehmen und drei Listen: angesagte Inhalte von Unternehmen mit den meisten Likes, interaktive Unternehmensvideos mit dem höchsten Engagement und bei der Community beliebte Inhalte. Man könne sehen, was gut funktioniert, so Braun – auch wenn die Liste mit Vorsicht zu genießen ist: Dort sind auch Tiktoks gelistet, die durch Paid-Maßnahmen erfolgreich geworden sind. Die beiden suchen außerdem den Austausch mit anderen auf Tiktok aktiven Unternehmen.
Wird der Kanal halbherzig betrieben, hilft alles nichts – es brauche die richtigen Leute: Die Menschen würden bemerken, sobald jemand ohne Begeisterung dabei ist und sich krampfhaft verstellt, das gelte auch für Unternehmens-Content – und wenn sie es merken, springen sie ab.
Einbußen ab April: Algorithmus-Anpassungen oder Bug?
Im April wurden Stimmen großer Creator:innen laut, die bis zu 50 Prozent Einbußen bei den Views verzeichneten. Wie OMR berichtete, erzielten Inhalte großer deutscher Accounts 30 bis 50 Prozent weniger Reichweite. Seatable ist glimpflich davongekommen: Im März erzielten sie wöchentlich 800.000 Views, seit den unbekannten Änderungen bei Tiktok rund zwölf Prozent weniger, sprich rund 700.000. Das Follower:innen-Wachstum allerdings brach um 60 Prozent ein – von durchschnittlich 1.000 auf nur noch 400 neue Follower:innen pro Woche. Eine Sprecherin von Tiktok sagte gegenüber OMR, dass es ein Problem gebe, das die Veröffentlichung von Videos verzögere, daran werde bereits gearbeitet.
Ist Luke wirklich Praktikant?
Nein, Spira ist Werkstudent, verantwortlich für Tiktok und die Instagram Reels. Braun wurde gefragt, ob es nicht gefährlich sei, einem Werkstudenten diese wichtige Rolle zu übertragen – Werkstudierende seien schnell weg. Seine Antwort: „Ey Moment mal: Jeder kann morgen weg sein!“ Auch Vollzeitpersonal könne jederzeit kündigen. Anstatt sich auf vermeintliche Loyalität zu verlassen, sollten Unternehmen also das Potenzial authentischer junger Menschen nutzen.